Einmal Luft ablassen, alte Freunde

Ich muss gestehen, es bereitet mir ein stilles Vergnügen diesen Text zu entwerfen. Wieder einmal kam die Anregung von der New York Times, dessen Artikel ich in einer losen Übersetzung herüberbringe.

Blähungen, Verstopfung und Durchfall können sehr, ich meine sehr sehr, unangenehm sein. Das sollte aber kein Hinderungsgrund sein, diese freimütig zu besprechen, zum Beispiel hier (Kommentare), – oder besser doch mit einem Facharzt (Gastroenterologe). Der ist (a) weder schockiert noch verlegen, hört er dergleichen doch im Stundentakt; (b) zum Stillschweigen verpflichtet und hat (c) bestenfalls noch den gebotenen Therapieansatz parat. Dem Darmarzt ist daran gelegen, das Sprechen über die Ereignisse im eigenen Gekröse zu normalisieren. So mancher leidet unter Reflux, also Säure-Aufstieg, netterweise mit einem männlichen Vornamen belegt: GERD (gastro-esophagal reflux disease). Reflexartig wird dann der Protonenpumpenhemmer (Magensäureblocker) verschrieben. Der Herr Doktor warnt: weil diese Medizin im (USA) Drugstore neben Kaugummis und Drops verkauft wird heißt nicht, man soll sie wie Süssigkeiten verzehren. Hierzulande gibt es das OTC-Prinzip (over-the-counter, also Freiverkauf in der Drogerie) nicht, aber das heißt nicht, dass diese Arznei besonnen rezeptiert wird. Es wird nicht selten verschwiegen, dass die (medikamentöse) Blockierung der Magensäure mit einer Reihe von problematischen Nebenwirkungen erkauft wird. Dabei gibt es andere Behandlungsansätze gibt, die natürlich die „Compliance“ der Kranken voraussetzt: überprüfen und gegebenenfalls verändern der Essgewohnheiten beispielsweise.

Andere sind beunruhigt, weil sie nicht tägliche Darmbewegungen haben, doch erst ab drei oder weniger Stuhlgänge pro Woche wird medizinisch von Konstipation (Verstopfung) gesprochen. Bedenklich sind demnach erst eklatante Veränderungen der Gewohnheiten von täglich auf einmal wöchentlich beispielsweise. Dann sollten die aktuell eingenommenen Medikamente geprüft werden, ebenso wie der Trinkhabitus und der Anteil von Ballaststoffen an der Nahrung.

Dann gibt es eine erst in jüngster Zeit definierte Krankheit, der sogenannte Reizdarm (irritable bowel syndrome). Das kann sich äußern in einem Zusammenspiel von Verstopfung, Diarrhoe und/oder Krämpfen, –  gegensätzliche Dinge ohne klare Ausrichtung. Dagegen ist kein Kraut gewachsen, keine Pille gepresst. Schließlich ist auch kein Mechanismus der Pathogenese gefunden worden. Den gibt es möglicherweise auch gar nicht, ist es doch eher eine unserer obskuren „Zivilisationskrankheiten“, die unmittelbar verbunden ist mit einem „modernen“ und gleichzeitig überaus ungesunden Lebensstil. Stress, Überforderung, Allzeitpräsenz und Regulierungsversuche des permanenten Ausnahmezustands mittels Medikamenten müssen sich im Körper manifestieren, zwingen ihn dazu zu alarmieren. Und angesichts der multiplen Diskrepanzen nicht anders als mit einer substanziellen Kakophonie.

Worüber der Mensch sich nicht fürchten sollte ist das Bedürfnis „Luft abzulassen“, sagt der Doktor; 10 bis 20mal am Tag sei absolut normal. Ist das nicht beruhigend? Natürlich sollten bei diesem Freifahrtschein für gelegentliches Von-der-Leine-lassen nicht sämtliche Formen der Höflichkeit mißachtet werden. Die Beachtung der Windrichtung und die Dämpfung der Klangfarben beim unsichtbaren Vorgang des Luftmachens gehören zum ordentlichen Betragen eines geselligen Wesens wie wir es sind. Wenn man die Zusammensetzung der Abluft analysiert, wäre die Beschämung am ehesten bei den Wiederkäuern festzumachen. Diese geben überwiegend Methangas an die Umgebung ab, ein Gas, das der Umweltkiller per excellence ist und die humanen Ausblasungen wie Stickstoff, Schwefelgase und Kohlendioxid bei weitem in den Schatten stellt.

Was will ich mit diesen Zeilen eigentlich sagen? Ich weiß es nicht. Vielleicht so viel: das Gedärm, dieses oftmals unbe- und mißachteten Körperteil, welches ja immerhin eine Länge von 9 Metern aufbringt, sollte mehr Beachtung geschenkt und als das betrachtet werden, was es ist: ein alteingesessener, zuverlässiger und sensibler Gefährte auf all unseren Wegen.

Apropos Gefährten: ein Loblied auf alte Freunde wäre sicherlich eine erlösende Wendung für die verehrten Leser.

Alte Freunde. Alte Freunde. Saßen auf ihrer Parkbank wie Buchstützen. Eine Zeitung wirbelt durch das Gras. Legt sich auf die Fußspitzen der Stiefel von den alten Freunden. Alte Freunde, Winter-kameraden, diese alten Männer. Verloren in ihren Mänteln, warten auf den Sonnenuntergang. Die Stadtgeräusche dringen durch die Bäume. Lassen sich nieder, wie Staub, auf den Schultern der alten Freunde. Kannst du dir vorstellen: wir, Jahre später, eine Parkbank still teilend –  wie furchtbar seltsam, einmal 70 zu sein. Alte Freunde, Erinnerung streicht über dieselben Jahre, stillschweigend dieselben Ängste teilend.

Simon & Garfunkel: Old friends: https://youtu.be/c3NYWzHLEZw

Old friends, old friends
Sat on their park bench like bookends
A newspaper blown through the grass
Falls on the round toes
Of the high shoes of the old friends

Old friends, winter companions, the old men
Lost in their overcoats, waiting for the sunset
The sounds of the city sifting through trees
Settle like dust on the shoulders of the old friends

Can you imagine us years from today
Sharing a park bench quietly?
How terribly strange to be 70

Old friends, memory brushes the same years
Silently sharing the same fears

5 Gedanken zu „Einmal Luft ablassen, alte Freunde

    1. Guter Einwurf !
      Aber: das Weibliche ist bei mir immerimmer eingeschlossen, ich bin mir sicher: bei Paul Simon und Art Garfunkel ebenso, und allemal bei all den Leuten, die ich Freunde nennen darf (~innen wiederum eingeschlossen)

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  1. LIEBER LOTHAR! Lass uns loben kräftige Fürze, knallend, zischend, fast wie Rülpsen. Riefen nicht die beiden Alten mit Furzgetön die Ufos – welch ein Film mit Fantasie. * Guinessbuch, da steht, dass einer Melodien furzen konnte, Auch das Scheiß-drauf, meinend erstarrte Normen, hilft der Entleerung, Entschlackung, Befreiung …. Nichts Menschliches sei uns fremd, riet ein bekannterer Dichter, oder nur Philosoph. Zum Ende deines Textes meinte ich, dir wäre hohe Gnade der Dichtkunst gekommen, doch „leider“ nur Paul Simons Text. Wie ich masl vulgörisiend zu T.B.s 30. dichrete: DREISSIG JAHRE, o die sind fürwahr Fürze nicht im Wind … WEITER SO! Danke, LUTZ NITZSCHE KORNEL – *Anm. LOUS UND DIE AUSSERIRDISCHEN KOHLKÖPFE, mit Louis de Funes

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